Hammelrede 2004

Verehrte Festgemeinde,

liebe Gäste aus nah und fern,

treue Hammelbrüder.

 

Als Vertreter der Hausener Kirmesburschen heiße ich euch zu unserem heutigen Festumzug auf das herzlichste willkommen.

Schon wieder ist ein Jahr vergangen und wir haben uns hier versammelt, um unser 53.

Hammelausreiten in würdiger Form zu begehen.

Auch in diesem Superwahljahr haben wir wieder über Begebenheiten und Vorkommnisse in unserem kleinen aber feinen Dörfchen nach Hammelbruderart zu

berichten und zu richten.

Unser diesjähriger Hammel “ Werner der Protestwähler“ hat unzählige große und noch größere Untaten verübt, die vor diesem hohen Gericht verhandelt werden müssen.

 

Wir schicken jetzt Reiter und Wagen aus um dieses im Schafspelz getarnte Untier zu ergreifen.

 

Reiter und Wagen schwärmt aus!

 

Nachdem die Reiter ausgeschwärmt sind, um den Hammel vor dieses Außerordentliche Gericht zu stellen, beginnen wir mit der Verlesung der Anklagepunkte.

 

Unser diesjähriger Hammel ist einer der hinterhältigsten und schlimmsten seiner Art.

Noch während des Umzuges durch das Dorf wurde der Vorstand im Winkel so irritiert, dass er über eine Stunde brauchte, um einen Ausweg aus dem Straßengewirr zu finden.

Der Fahrer eines Kirmeswagens war nach Werners Attacke orientierungslos und in Richtung Breitenholz unterwegs, um sich dem dortigen Umzug anzuschließen.

Einen unserer Kirmesreiter attackierte er dermaßen, dass er stürzte und im Krankenhaus versorgt werden musste. Nicht einmal vor unseren Jungfrauen machte er halt. Eine hiesige Jungfrau erschreckte er auf dem Heimweg vom Festsaal so sehr, dass sie beim Anblick der Hammelfratze kollabierte und notärztlich versorgt werden musste.

Als sich die Nebel bei ihr wieder lichteten, war zum Glück kein ernsthafter Schaden zu beklagen.

Nicht nur die gelungenen Großwagen machen den besonderen Reiz unseres Umzuges aus. Viel mehr die vielen besonderen Gäste, wie das ewige griesgrämige Brot Bernd,

die nostalgische Kindergartengruppe Clair Grube, Erich Honecker mit seiner Delegation der DSF (für nicht Ossis: Deutsch-Sowjetische Freundschaft).

Und sogar ein echter Kaplan reiht sich mit viel Engagement und Begeisterung ein.

Da zum Festhochamt keiner der einheimischen Burschen die Kirmesfahne tragen konnte und kräftige auswärtige Burschen helfen mussten, sollte zum Montagsgottesdienst diese Blamage korrigiert werden. Werner hatte den Auserwählten am Vorabend so geschafft, dass er schwächelte und vor Übelkeit unsere Ehrenfahne während der Messe in die Ecke stellen musste.

Leider kann man bei uns während des Umzuges keinen ganz großen Preis mehr gewinnen, da die über Jahrzehnte beliebte Tombola dem allgemeinen Sparzwang des Vorstandes zum Opfer fiel, da es in Hausen ja bekanntlich sowieso keine Nieten mehr gibt.

 

 

Eine schöne alte Tradition unserer Kirmes – die Ausgabe von Jagdscheinen – erfreut sich wieder wachsender Beliebtheit.

Sogar bei E-Bay sollen schon gefälschte Exemplare angeboten worden sein.

Letztens hatte sich unter die jungen Adler, die hier einen Jagdschein erwerben wollen, ein besonders bunter Vogel gesellt. Nach riskantem Flug von der Bühne folgte eine gekonnte Landung an der Theke. Leider stellte sich diese für ihn als Bruchlandung heraus, da im vermeintlich heimischen Nest bereits Fetzen und Koffer flogen.

 

Im Superwahljahr wurde auch in Hausen tüchtig gewählt. Die Wahl der örtlichen Volksvertreter erregte auf Landes- und auch auf Bundesebene großes Aufsehen.

Auf dem Nominierungsparteitag der hiesigen Christdemokraten war es nicht gelungen, einen Spitzenkandidaten für das höchste Amt im Ort aufzustellen.

Einige Protestwähler meinten, ihren Unmut dadurch auszudrücken, indem sie sich einfach selbst als Schulze auf den Wahlzettel schrieben.

Bei der Auszählung waren dann auch sage und schreibe 18 Personen für das höchste Amt in unserem Hammelreich vorgeschlagen worden. Entgegen dem Bundestrend, wo rechte und linke Randgruppen immer mehr Einfluss erlangen, haben wir mit Verstand und Weitsicht gewählt.

Letztendlich wurde mit dem deutlichen Wahlsieg 20-jähriges bewährtes und erfolgreiches Schaffen für unser Dorf belohnt.

Auch der Kirschenvorstand und der Pfarrgemeinderat wurden in diesem Jahr neu gewählt. Der Wahltermin war amtlich verkündet und festgelegt. Als das Wahlvolk voller Tatendrang diese Amtshandlung durchführen wollte, hatte der Wahlleiter den Termin kurzerhand um eine Woche vorverlegt. So ging man zwar erleuchtet aber unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Das Ergebnis hat aber dennoch alle zufrieden gestellt.

 

Noch größeres Aufsehen erregte die Aufnahme des einst stärksten Hauseners in einen angesehen adligen Ritterorden. Er steht nun in direkter nachfolge der einst mächtigen Kaiser von Konstantinopel. Während der Verleihung des bedeutungsvollen Titels „Marquis“ im altehrwürdigen Krönungsdom zu Potsdam war leider kein Vertreter der Hausener Wirtschaft geladen.

Viel größer jedoch ist die Freude der Hammelbrüder, dass der adlige Marquis in Hausen seine zukünftige Marquise gefunden hat.

Durch diese hohe Ehrung sah sich der Vorstand der Kirmesburschen veranlasst, den traditionellen Kirmesburschenball mit Lebensgefährtinnen ausfallen zu lassen und stattdessen standesgemäß ein zukünftiges Ritteressen in gebührender Umgebung auf der Burg Hanstein durchzuführen.

 

Das alljährliche Kleinfeldfußballturnier hatte wieder eine große Anziehungskraft.

Die Hausener Jugendlichen gingen recht blauäugig an den Start. Erstmalig in der Geschichte konnten diese die Übermacht des Familienclans brechen und den wertvollen Pokal erringen. Dass sportlicher Ruhm und Ehre recht kurzlebig sind, wurde in Hausen auf eindrucksvolle Weise bewiesen. Nach den ersten wohlverdienten Schlucken aus dem Becher der Lebensfreude zerfiel das heiß begehrte Stück in alle Einzelteile. Die Abschlussveranstaltung dieses Tages bildete die Liveübertragung eines der wenigen Spiele unserer Profikicker während der Europameisterschaft. Mit Hightech und verdunkelten Fenstern lebte das Flair des alten Hausener Dorfkinos im Gemeindezentrum wieder auf. Diese Vorführung diente nicht wie früher zur Belustigung der Kleinen, sondern vor allem der bereits in die Jahre gekommenen Großen.

Für das große Waldsportfest war unser Stadion mit immensem Aufwand und neu angeschaffter Technik hergerichtet worden und genügte erhöhten Bundesligaansprüchen. Wie in der großen Liga üblich, soll auch unser Schmuckkästchen nach einem Hauptsponsor benannt werden und demnächst in „Wasserzweckverbandarena“ umgetauft werden. Zum Schlagerspiel Oberdorf gegen Unterdorf musste das Oberdorf durch das hinterhältige Ausboten seiner Allstars, eine sehr junge Mannschaft an den Start schicken. Die jungen Wilden mussten zwar die spielerische Überlegenheit der Unterdörfler anerkennen, konnten jedoch das erste Mal in der Geschichte dieser Veranstaltung 5 Tore erzielen. Leider wurden ihnen dieses Mal noch 14 Tore eingeschenkt, was auch einen historischen Rekord darstellt.

Beim Pokalturnier der alten Herren wurde unser Team wie durch ein Wunder Pokalsieger. Die Wettkampfstätte „Harderholz“ wurde von einigen Gastmannschaften allerdings zu wörtlich genommen und es kam zu einigen handfesten Auseinandersetzung, die zum Spielabbruch führten.

Um Treffsicherheit und Schlagkraft für das nächste Jahr zu erhöhen, wurde das Trainingslager der alten Herren in der Westernstadt Pullman City durchgeführt.

Für die bemerkenswertesten Sportschlagzeilen sorgte ein in örtlichen Schachkreisen

eher unbekanntes Seiteneinsteigertalent. Selbstbewusst und kampfesmutig stellte er sich den mit internationalen Großmeistern angereisten deutschen Schachmeister entgegen und erntete sogar für seinen gekonnten ersten Zug riesigen Beifall.

 

Mitten im Dorf noch versteckt hinter hohen Buchenbüschen wird eine neue Sportart wiederentdeckt und trainiert, mit der wir in absehbarer Zukunft Hausen weiter bekannt machen wollen.

 

Die weihnachtliche Idylle in unserem wieder festlich beleuchteten Dorf wurde durch den dreisten Diebstahl von zwei Christbaumbeleuchtungsketten überschattet.

Da der Diebstahl mit dem jährlichen Hammelessen der Burschen zusammenfiel kann eine Mittäterschaft von Werner nicht ausgeschlossen werden. Die Betreibergesellschaft Hausener Weihnachtsmarkt sagte, durch diesen Vorfall geschockt, alle geplanten Aktivitäten ab.

 

Beim Weihnachtskonzert unseres Kirchenchores gab es schon lange vor Beginn nicht mal mehr Stehplätze. Was wieder geboten wurde war Sangeskunst in Hochkultur.

Leider war es auch die einzige Veranstaltung, bei der unsere Filialkirche restlos überfüllt war.

 

In den Wintermonaten hatten wir Kraftfahrer häufig ein großes Problem, welches nur durch Verkostung eindeutig geklärt werden konnte. Ist die morgendliche „weiße Pracht“ auf unseren Dorfstraßen nun ein Produkt von Frau Holle oder ein Produkt des intensiven ökologischen Winterdienstes?

Permanente Falschparker traf es noch härter. Sie mussten oftmals ihre fahrbaren Untersätze unter aufgehäuften Schneebergen suchen und freilegen.

 

Wie Leuchtzeichen waren die Sonderkonzerte der einstigen Hausener Kultband „Atlantis“, welche in grauer Vorzeit die Diskoschuppen im Umfeld füllte und zum Überkochen brachte.

Die Adonis Figur der Musiker war zwar verschwunden und die einst prächtigen Locken durch Stirnbänder ersetzt, nur die Lautstärke war noch wie früher.

 

Der erstmals in Hausen durchgeführte Rentnerfasching der Verwaltungsgemeinschaft

brachte viele Gäste zum Staunen.

Unsere Narren waren wie üblich in Hochform und einige der Gastnarren hatten ja ein Heimspiel, da sie ihre Wurzeln in Hausen hatten. Mit der Erstinbetriebnahme der neuen Beschallungsanlage konnten auch alle Pointen gut verstanden werden.

Das letzte große Geheimnis der Hausener Narren – die Frage nach der Besonderheit des Siebener Rates – wurde vom Präsidenten in einem Presseinterview selbst gelüftet.

Er meinte, dass sonst alle auf der Bühne sitzen würden.

 

Zur Verbesserung des Service und der Kneipenkultur sind die Wirte ständig im Wettbewerb mit anderen gastronomischen Einrichtungen. Der diesjährige Erfahrungsaustausch führte nicht wie sonst aufs Breitenholz, sondern in das beste Hotel der Welt nach Dubai. Die hier gesammelten, tollen Eindrücke sollen bald auch in der Hausener Gaststätte umgesetzt werden.

 

Dass wir in Hausen einen besonderen Schutzengel haben, beweist der hollywoodreife Stunt eines Auswärtigen Kraftfahrers, der nach passieren der Bahnbrücke ins Schleudern geriet, die Leitplanke als Startrampe nutzte, um einen Telefonmast in 2 m Höhe zu knicken, die steilste Böschung runter rollte und nach gekonntem Satz unverletzt auf beiden Schienensträngen der stark befahrenen ICE Trasse Halle-Hausen-Kassel zum Stehen kam.

 

Die Anbindung unseres zänkischen Ortes an die Verwaltung mittels Wasserstraße floppte gleich nach der Kirmes. Der Umzug war noch nicht beendet, da waren die Aktivitäten am Bau dieser Straße schon wieder beendet.

Nach Aussage der zuständigen Politiker soll diese für uns so wichtige Verbindungsstraße in diesem Jahr nun doch noch grundhaft erneuert werden.

Wir alle würden uns einmal wenigstens über ein eingehaltenes Wahlversprechen freuen.

Überdurchschnittliche Erfolge erreichten unsere Burschen in der Fortpflanzung. Der größte Teil der an einem Subotnik gepflanzten 2000 Bäume am Sportplatz ist angegangen und steht prächtig. Entgegen dem Bundestrend, wo Deutschland den letzten Platz in der Geburtenrate belegt, haben wir in Hausen einen echten Boom bei Neugeborenen, werdenden und in Arbeit befindlichen Babys.

Deshalb ist die Erneuerung der Spielgeräte und die ständige Pflege des Kinderspielplatzes eine Investition in die Zukunft unserer Gemeinde und Kirmes.

 

Mit Stolz und Dankbarkeit für das Engagement und die riesige Spendenbereitschaft der Hausener beim Bau des neuen Mahnmales zum Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt werden wir morgen den ersten Kranz an dieser würdigen Stätte niederlegen.

 

So möchten wir uns bei allen die zum Gelingen unserer Kirmes und zur Verbesserung des Allgemeinen Wohlbefindens im Ort beitragen, recht herzlich bedanken.

 

Im Namen aller Hammel Brüder und im letzten Auftrag von Werner wünschen wir frohe und nette Stunden.

Bleibt gesund und munter. Bis zum nächsten Jahr grüßen:

 

Die Kirmesburschen

 

© 2004, Autor: Manfred Barthel