Hammelrede 2022

Verehrte Festgemeinde,
liebe Gäste aus nah und fern,
treue Hammelbrüder,

als Vertreter der Hausener Kirmesburschen heiße ich euch zu unserem heutigen Festumzug auf das herzlichste Willkommen.
Wieder haben wir uns hier versammelt, um unser 71. Hammelausreiten in
altbekannter, würdiger Form zu begehen.
Auch im ersten Jahr nach dem großen Jubiläum haben wir über Begebenheiten und außergewöhnliche Vorkommnisse in unserem kleinen Dörfchen nach Hammelbruderart zu berichten.
Unser diesjähriger Hammel mit dem Namen “Henry der Halbwissende“ hat zahlreiche Untaten verübt, die hier vor diesem traditionellen Kirmesburschengericht bekannt gemacht werden müssen.
Wir schicken jetzt Reiter und Wagen aus, um dieses heimtückische und hinterhältige Tier im Schafspelz aus seiner Herde zu erhaschen.

Reiter und Wagen schwärmt aus!!

Nachdem die Reiter ausgeschwärmt sind, um den Hammel vor dieses außergewöhnliche Gericht zu stellen, beginnen wir mit der Verlesung der Anklagepunkte:

Ein Jahr nach einem gelungenen Kirmesjubiläum unter nie dagewesenen Bedingungen, können die Hausener Burschen und alle ihre treuen Gäste erleichtert und motiviert das 8. Jahrzehnt der Vereinsgeschichte angehen.
Wochenlanges Bangen ob es eine 3G-Party geben kann oder nicht, ging einer wahrlich würdigen Jubiläumsfeier voraus.
Schon in früheren Jahrhunderten schrieben die Menschen auf ihren selbstgebrannten Schnaps den Zusatz: „Der Seuche zum Trotze“ und wussten, was wirklich gegen hartnäckige Epidemien hilft.
Und so wurde auch in Hausen darauf gebaut, mit den auferlegten 3G-Regeln, viel Glück und einer Menge Alkohol, keine Covid-Epidemie durch die Kirmes auszulösen, was zumindest für dieses Wochenende auch gelang.
Aber wie nicht anders erwartet, versuchte der Hammel durch seine bekannten charakterlichen Defizite aus dem Hintergrund für weniger Gästezahlen zu sorgen.
Zuerst lief er schamlos rüber ins Örtchen, um die dort ansässigen unerfahrenen Jungburschen anzustiften, einen Facebook-Beitrag gegen Veranstaltungen bei der Hausener Kirmes aufzusetzen.
Schlimmer noch ist aber sein erfolgreicher Versuch, in den eigenen Reihen dafür zu werben, nicht mehr zum montäglichen Frühschoppen zu gehen,
mit dem Vorurteil, dass dort eh nichts mehr los wäre.
So schadete er nur sich selbst und verpasste den beeindruckenden musikalischen
Beitrag eines Vorstandsmitgliedes im offiziellen Teil des Frühschoppens.
Der Jubiläumsumzug, der auch in diesem Jahr durch Baumaßnahmen nicht seine traditionelle Route nehmen konnte, war wie erhofft wieder hausenlike-ausgelassen, sonnig und mit viel Frohsinn gesegnet.
Die alte Hausener Kanonenbahn wurde extra für das Jubiläum straßentauglich umgebaut und überstand den Umzug ohne technische Pannen.
Der gerade noch rechtzeitig fertig gewordene und langersehnte Zebrastreifen für
die Schulkinder und Kirchgänger wurde würdig von einer Horde Zebras gefeiert und gemeinsam mit vielen Kirmesfreunden begossen.
Eine ganz besonders elegante lebendige Barbiepuppe mit einem struppigem „Ruschebart“ ließ so manches Burschenherz höherschlagen.
Selbst die Tiere auf der Arche Noah, die extra einen großen Umweg über Hausen schipperten, waren von dieser außergewöhnlichen Dame fasziniert.
Wer sich Ingos alljährliche, tolle Kirmesbilder angesehen hat, wird feststellen, dass wir
zum 70. Jubiläum den wohl stolzesten und schönsten Hammel mit prachtvollen Hörnern vor Gericht hatten.
Natürlich lassen wir Hausener uns nicht von seiner Schönheit blenden und erkennen immer noch seinen hinterhältigen, heimtückischen und schlitzohrigen Charakter.
Sowas gibt es nur in Hausen und die Burschen hoffen, dass alle, die immer zum Gelingen dieses Umzuges beitragen, niemals den Spaß am wichtigsten Tag im örtlichen Kalender verlieren

Im Rahmen der weiteren Dorfentwicklung hält der „Wind of Change“ in Hausen weiter an.
Damit sind aber nicht die immer stärker werdenden alljährlichen Winterstürme gemeint, die immer mehr Verwüstungen mit sich bringen.
Ja… so mancher musste dieses Jahr wieder unfreiwillig in neue Gartenzäune Dachziegel oder Gewächshäuser investieren.
Gemeint sind die großen optischen Veränderungen des Hausener Dorfbildes.
Sie startete der Hammel mit einer leider nur spärlichen Sanierung der alten Betonstützwand im Klapperfahrt.
Zur ihrer zusätzlichen Destabilisierung dient nun eine Reihe großer Löcher.
Nur der lebensgefährliche Durchgangsverkehr hindert die Hausener Kinder daran, sie als Torschusswand zu benutzen.
Für die größte Veränderung des Dorfbildes sorgte aber die neue Straßenführung in
das 2. neue Wohngebiet im Oberdorf, die direkt durch den alten Lindenplatz gehen wird und den wohl bekanntesten Hausener Kleintierhof durchkreuzt.
Hier hat Henry aus alter Gewohnheit die Rechnung ohne den Wirt gemacht und ohne die Gegenwehr vieler Anwohner kalkuliert.
Durch eine nachträglich sehr gut organisierte Aufklärung der Anwohner über die Hintergründe der Planung, inklusive einer Abstimmung aller Hausener Einwohner über das neue Konzept, konnte aber Gott sei Dank schnell für Frieden und eine demokratisch
herbeigeführte Lösung gesorgt werden.

Die Zeit vergeht und für die nächste Legislaturperiode eines Dorfschulzen wurden alle Hausener Einwohner wieder regulär an die Wahlurne gebeten.
Durch die im Vorfeld leichtfertig gestreuten Gerüchte des Hammels, unser aktueller Dorfschulze sei amtsmüde und zähle nur noch die Tage bis zum Ende seiner Amtszeit, entstand eine vollkommen verwirrende Situation für die Hausener Bürger.
Bei der Wahl eine Wahl von mehr als einem Amtsbewerber zu haben,
ist hier sehr lange her.
Die Liebe zu seinem Heimatort und die berechtigte Sorge, dass wir ohne Kandidaten ev. einen auswärtigen Schulzen bekommen könnten, belohnten die Wähler mit vielen Stimmen und wählten unseren hochmotivierten Mario zum neuen Dorfoberhaupt.
Lieber Mario, wir wünschen dir nun noch mal vor großem Publikum im Namen aller Einwohner unserer Einheitsgemeinde viel Energie, Erfolg und allzeit die so wichtige Unterstützung für dein neues Amt.
Applaus
Lieber Stefan, wir danken dir auch noch mal vor großem Publikum im Namen aller Einwohner unserer Einheitsgemeinde für alles, was du in der Vergangenheit zum Wohl dieses Ortes getan hast und wünschen dir, dass du das sehr knappe Wahlergebnis bitte sportlich nimmst.
Und dass sich deine, uns allen spürbare, Enttäuschung schnell in neue Motivation und Zufriedenheit wandelt.
Applaus

Hin- und hergerissen zwischen Ablehnung und Begeisterung war der Hammel
das ganze letzte Kalenderjahr, als er die Geschehnisse rund um die Fertigstellung
des neuen Kirchendaches aus 2-ter Reihe beobachtete.
Als pünktlich zum Weihnachtsfest die neuen Kirchenglocken das erste Mal offiziell
gemeinsam erklangen, ertappte sich der Hammel dabei, euphorische Glücksgefühle zu haben und nahm sogar diesen Klang mit einem Mikrofon für die Nachwelt zur Erinnerung auf.
Schnell verflogen aber seine kurzzeitigen menschlichen Züge und er verfiel wieder zurück in seinen hinterlistigen Naturcharakter.
Er wurde dabei beobachtet, wie er unerlaubter Weise auf dem Baugerüst des Kirchturmes umherspazierte, um rauszubekommen, wie es möglich war, das der Turm über mehrere Wochen scheinbar losgelöst, wie von Göttlicher Hand, über der Kirche schwebte.
Von Langeweile getrieben fing er an, die noch nicht verbauten Dachziegel zu zerstören.
Weiter stiftete er die Beamten der Denkmalschutzbehörde an, ihre Vorgabe, den Turm wieder in den Urzustand zu versetzen, anstatt ihn ohne die Glocke im Innenraum baulich zu schließen, nicht ganz so genau zu nehmen.
Was dabei rauskam, könnte allerdings weltbekannt werden.
Denn was ist schon der schiefe Turm von Pisa wert, wenn wir einen hohlen Kirchturm von Hausen als neue Touristenattraktion haben?
Touristen in unseren Ort zu bringen, sollte mit einem über 100 Jahre alten eigenen Bahnhof, einer preisgekrönten Designerbushaltestelle und 3 amtlich, in Hausen ansässigen Berufsbusfahrern ja kein Thema sein.

Weitere außergewöhnliche Ereignisse und Veränderungen müssen standesgemäß heute
hier bekannt gemacht werden.
Missgünstig und voller Tatendrang anderen zu schaden plante, der Hammel ein Attentat auf einen erst jüngst von ehrenhaftester Stelle als neuen Ortschronist vorgeschlagenen Jungbauern, stieß ihn an steiler Hanglage mit seinem Traktor um und brachte ihn dadurch in große Lebensgefahr.
Traktoren scheinen ja in Hausen generell aus der Mode zu kommen, denn man sieht viele Hobbylandwirte nur noch auf einem Quad mit Anhänger oder neuerdings mit kleinen Mini-Radladern.
Auch zeigte sich eine neue Gesetzeslücke für Anhängerbetrieb, die es scheinbar zulässt,
straffrei ohne amtliche Kennzeichen unterwegs zu sein, aber nicht mit einem Kennzeichen ohne gültige Plakette. Für Henry ging diese Erfahrung ziemlich teuer aus.
Den erwähnten Mini-Radlader eines stolz wachsenden Pferdehofes im Winkel beobachtete der Hammel schon seit Monaten neidisch von morgens bis abends bei seinem ehrgeizigen Versuch mehr Kilometer im Jahr zu schruppen als ein durchschnittliches Taxi am Frankfurter Flughafen.

Und damit noch lange nicht genug!
Um der im letzten Jahr auferlegen Strafe zu entgehen, den abgelegenen Waldsportplatz wieder in Ordnung zu bringen, überlegte sich Henry so manche Ausrede.
Diese notierte er feinsäuberlich in sein Buch der Schandtaten, während er mal wieder auf seiner selbstgebauten Waldtoilette hinter dem Sportlerhäuschen auf der Heide saß.
In erster Linie fand er wohl keine Zeit, da er noch einige Nachbesserungen an den Pflasterarbeiten im Mitteldorf machen musste, damit die Anwohner im Winter keine nassen Hauswände bekamen.

Damit war er so beschäftigt, dass ihm vollkommen entging, dass in diesem Spätsommer ein neuer Pfarrer in unserer Kirchengemeinde begrüßt wurde.
Da dies nicht in der Hausner Kirche stattfand, und Henry sich schwertut, solche wichtigen Informationen im Internet zu finden, ist das aber auch kein Wunder.
Deshalb wollen wir heute die Gelegenheit nutzen und unseren neuen Gemeindeseelsorger und den offiziell jüngsten Pfarrer im Bistum, Herrn Pfarrer Münnemann, recht herzlich in unserer Gemeinde willkommen heißen.

Kopfschüttelnd und fassungslos las der Hammel in der Zeitung,
dass in Niederorschel einige seiner verstorbenen Artgenossen eiskalt in einem Altkleidercontainer entsorgt worden waren. Das machte ihn so sauer, dass er beschloss durch Unruhestiftung Rache zu nehmen, anstatt den Schuldigen auszumachen und zur Rechenschaft zu ziehen.
Hin und wieder machte er sich deshalb einen Spaß daraus, einfach mal die Kirchenglocken zu läuten, und erfreute sich daran, wenn der ein oder andere Gläubige aus dem Ort irritiert mit seinem Gesangbuch vor der Kirche stand und ohne den erhofften göttlichen Segen wieder den Heimweg antreten musste.
Den nächsten Stänkerversuch startete er, als die Kirmesburschen friedlich mit Booten auf der Werra schipperten, Henry aber das Boot kentern ließ und die Burschen in den Fluss zum Baden schickte.
Eine unglaublich schlitzohrige Idee hatte er, als er die Anzeigetafel zur Geschwindigkeitsermittlung am Ortsausgang nach Niederorschel so im Einstellwinkel veränderte, dass auch die einfahrenden Züge von ihr erfasst werden konnten und uns deshalb niemand mehr glaubte, das die aufgezeichneten Geschwindigkeitsrekorde eigentlich von Autos ausgelöst wurden.

Eine wichtige Ureigenschaft der einheimischen Bevölkerung konnte Henry aber trotz großer Anstrengung auch in diesem Jahr nicht mutwillig stören.
Durch die urplötzliche Abschaltung der gesetzlichen Pandemiebeschränkungen im Frühling traf man sich wieder sorgenfrei zu allerlei Feierlichkeiten und versäumten geselligen Anlässen.
So konnte zum alljährlichen legendären Schlachtfest in der Schöllbornstrasse
wieder alles gegeben werden, um extra angereisten Gästen aus den Niederlanden,
eine Einführung in unsere harten Eichsfelder Sitten zu geben.
Von der Nachbarschaft aus wurde der Hammel allerdings dabei beobachtet, wie er später still und heimlich aus dem Dachfenster erbrach,
um sich vor seinen Gästen nicht zu blamieren.
Durch einen Lichtstrahl am nächtlichen Sternenhimmel wurden zum Tanz in den Mai viele alte Fans der Glashauszeit nach Hausen gelockt.
Verschreckt von düsteren Gestalten und gruseliger Musik auf dem Saal,
ergriffen sie aber die Flucht und entkamen so einer Covid-Epidemie, die auf dieser Veranstaltung ihren Anfang nahm.

Im letzten Punkt wünschen wir uns im Namen der gesamten Gemeinde im nächsten Jahr wieder über eine lustige Karnevalssitzung berichten zu können, anstatt vom Kaspertheater rund um die Vergabe Hausener Kneipen.
Hier hat sich der Hammel rund um das persönliche An- und Abwerben eines neuen Pächters ein starkes Stück geleistet.
Nun hoffen wir allerdings auch, dass den legendären Bario-Veranstaltungen zukünftig nichts mehr im Weg steht, und die Schlüsselgewalt unseres Gemeindezentrums wieder den Weg zurück in unseren Ort findet.

In diesem Sinne schließen wir hiermit die Anklagepunkte und gehen zur Urteilsverkündung über!
Wir verurteilen hiermit, am heutigen Kirmestage, den Hammel zu folgenden Strafen:
Im ersten Punkt: alle seine mitwirkenden Komplizen preiszugeben, die sich stetig daran beteiligen, dass gute, alte wertvolle Hausener Miteinander zu stören.
Des Weiteren hat er im zweiten Punkt: alle einheimischen Autofahrer ausfindig zu machen, die immer durch rücksichtslose Fahrweise auffallen und unter anderem in blauen Handwerksbussen das Leben ihrer Mitbürger aufs Spiel setzen.
Im dritten und letzten Punkt: hat er dafür zu sorgen, dass niemand mehr in den immer trockener werdenden Sommern mit Brunnenwasser riesige Poolanlagen füllt und nachts im Schutze der Dunkelheit stundenlang Grünflächen bewässert.
Dieser nachhaltige Schaden am Grundwasserspiegel ist irreparabel.

Anschließend wird er dann seinem Scharfrichter übergeben.

Auch im nächsten Jahr soll es hier in unserem Heimatort wieder heißen:
„Kirmes soll sein!“
Wir freuen uns heute schon wieder auf alle Gäste, einheimische, altheimische und die, die extra über Land kommen, um uns hier jedes Jahr die Treue zu halten!

In diesem Sinne schließen wir diese Sitzung und wünschen im Namen aller Hammelbrüder noch frohe und nette Stunden hier. Bleibt gesund und munter!
Bis zur nächsten Kirmes grüssen:

Die Kirmesburschen

Geschrieben 2022 von
David Schäfer