Hammelrede 2020

Verehrte Festgemeinde,

liebe Gäste aus nah und fern,

treue Hammelbrüder,

 

als Vertreter der Hausener Kirmesburschen heiße ich euch zu unserem heutigen Festumzug auf das Herzlichste willkommen.

Wieder haben wir uns hier versammelt, um unser 69. Hammelausreiten in altbekannt würdiger Form zu begehen.

Auch im Jahr der großen Entbehrungen haben wir wieder über Begebenheiten und außergewöhnliche Vorkommnisse in unserem kleinen Dörfchen nach Hammelbruderart zu berichten.

Unser diesjähriger Hammel mit dem Namen “Carlos Coronus“ hat zahlreiche Untaten verübt, die hier bekannt gemacht werden müssen.

Wir schicken jetzt Reiter und Wagen aus, um diesen im Schafspelz getarnten Übeltäter, zu ergreifen.

Reiter und Wagen schwärmt aus!!

Nachdem die Reiter ausgeschwärmt sind, um den Hammel vor dieses außergewöhnliche

und gefürchtete Gericht zu stellen, beginnen wir mit der Verlesung der Anklagepunkte:

Wie es nicht anders zu erwarten war, lieferte uns der Hammel schon direkt

am Festwochenende des Letzten Hammel-Gerichts unzählige Anlässe für die Anklage im Jahr 69 nach der geschichtsträchtigsten Vereinsgründung überhaupt.

Der Burschenvorstand prüft aktuell, ob wir zum 70. Hammelausreiten im nächsten Jahr nicht gegen 2 Hammel ermitteln müssten, weil einer allein gar nicht mehr so viel Unheil anrichten kann.

Bei der in Hausen eigentlich ungebräuchlichen Tradition die Kirmes auszugraben, die der Hammel eigenmächtig ohne Abstimmung aller Kirmesburschen einführte, vergrub er seine Schnapsflasche so gut vor sich selbst, dass diese nicht wiedergefunden wurde.

Der Start ins Festwochenende auf dem Saal zog sich dadurch unnötig lang hin und verärgerte gerade die wenigen pünktlich eingetroffenen Gäste.

Um die Veröffentlichung seiner Untaten zu verhindern, steckte er schnell vor Beginn des jährlichen Hammelgerichts sämtliche Elektrostecker zusammen mit einer Pommesfriteuse in nur eine Steckdose der bekanntlich sehr empfindlichen Saal-Elektrik.

Das jähe Ziel, seine Richter stummzuschalten, gelang ihm mit Bravour. >

Der Frühschoppen am Montag löste allgemein gemischte Stimmung aus.

Während sich die meisten Gäste und Hammelbrüder bei schönem Wetter

draußen die Sonne auf den Pelz scheinen ließen, nutzte der Hammel die dadurch entstandene öde Stimmung drinnen, um mit einer angezündeten Zigarette Aufmerksamkeit zu erregen und den Vorstand aus der Reserve zu locken.

Die paar Verbliebenen im Saal machten das Beste aus der trüben Stimmung und suchten untereinander nach optischen Gemeinsamkeiten.

Und so wurden, inclusive Fotoshooting, spontan die beiden Clubs der Oberlippenbart und Vollbarträger gegründet.

Auslöser dazu war einer auf den Gott sei Dank weiter Verlass ist.

Als Wolle Wiesel stolz seinen Oberlippenbart mit dem Vorwand beim Hausarzt präsentieren wollte, vernahm man ihn dort zwar für voll aber dennoch nicht für voll.

Enttäuscht über die Situation kippte er anschließend noch einen extra auf seine Lampe und prüfte auf dem Heimweg, ob der Roteberg und die alte Bergstraße wirklich immer noch gleiche Abmaße haben.

In der Winterzeit, als alles „coronal“ noch in bester Ordnung war,

eröffnete zur 16. Stunde des 21. Tages im Dezember der beste Mittelalterweihnachtsmarkt in der Geschichte.

Volle Krüge und deftiger Schmaus, alles aus dem eigenen Ort,

sorgten für hohe Besucherzahlen, auch aus umliegenden Gemeinden.

Seitdem brütet der Hammel an einer Geschäftsidee unsere einfallsreichen Veranstalter abzuwerben, um zukünftig auf berühmten Burgen anstatt am Hundesportplatz ihre Zelte aufzubauen.

Das Gleiche plant er auch mit dem fernsehreifen Weihnachtskonzert unseres

Kirchenchores, welches er wie gefesselt mitverfolgte und am liebsten für sich allein vermarkten würde.

Auf weiterer Talentsuche, die sich gut vermarkten ließen, scheiterte er an einem alten bekannten Nölburschen, der ein Angebot für seine comedyreifen Emotionsausbrüche auf einem eigenen YouTube-Kanal dankend ablehnte.

Mehr Erfolg hatte Carlos, indem er eine neumodern integrierte Tradition aus den USA auf die Spitze trieb.

Zu Halloween engagierte er eine originale Figur eines amerikanischen Horrorfilms, die bewegungslos im halbdunkeln Hausener Kinder traumatisierte.

Einige von ihnen beendeten panisch ihre Süßigkeiten-Sammlung und flüchteten weinend nach Hause.

Das traditionelle Hammelessen, welches sich Jahr für Jahr immer mehr zu einer „Top Secret“ Aktion entwickelt, fand dieses Jahr trotz leerstehendem Gemeindesaal wieder mal auswärts statt.

Der beschwerliche Fußweg dorthin, bei ruppigem Wetter und eiskaltem Bier statt Glühwein, wurde aber bei gutem Essen und einem Spezialgast zu späterer Stunde schnell vergessen.

Beim Einsammeln des Sonderobolus ahnten die Burschen schon, was heute noch folgen sollte. Einigen sehr zögerlichen Burschen musste allerdings erstmal durch die Seniorenfraktion des Abends gezeigt werden, wie man mit einer freizügigen Dame umgehen muss.

Genauso holprig wie dieser Abend lief auch die aufwendige Vorbereitung auf den diesjährigen Karneval.

Durch Unstimmigkeiten unter den Organisatoren und akuter Fluktuation im Siebener Rat, kristallisierte sich kurzfristig ein neuer Präsident mit sehr hohem Potential heraus.

Bei gewohnt sehr gutem Programm in Hausener Manier und ausgelassener Stimmung, vergaßen die meisten Gäste dann schnell, dass sie an der Abendkasse diesmal mehr Eintritt zahlen mussten als für einen Tanzabend der Hausener Kirmes.

Die letzte offizielle Veranstaltung in Hausen vor dem unfreiwilligen „coronalen“ Lockdown war das 100-jährige Jubiläum unseres Bahnhofes.

Trotz der Tatsache, dass sich die Gemeinde Niederorschel jetzt doch wieder als stolzer Zweit-Besitzer eines Bahnhofs bezeichnen kann, blieben die Einnahmen dieser hochinteressanten Zeitreiseveranstaltung aber in Hausen und füllten den großen Glockentopf weiter auf.

Zusammen mit der Glockensuppe in der Kirche, Glockenbratwurst,

Glockenglühwein vor der Kirche und vielen weiteren großzügigen Glockengeldspendern konnte im Amtsblatt unserer Gemeinde, welches mittlerweile ja nur noch aus zusammengetackertem Kopierpapier besteht, ein beachtliches Spendenbarometer präsentiert werden.

Die Geburt der neuen Kirchenglocken sollte eigentlich in einem viel feierlichen Rahmen stattfinden, wenn Carlos nicht den bekanntesten Virus nach dem Pesterreger aus China eingeschleppt hätte.

Das Erfolgsmodell „Alles für die Glocken“ zieht mittlerweile auch Nachahmer an, mit der Idee die eine oder andere Heimbaustelle finanzieren zu können.

Und dann kam er der große Lockdown der das Jahr 2020 zu einem sehr außergewöhnlichen und vor allem ausgefallenen Jahr machen sollte.

Ostern ausgefallen, Erstkommunion ausgefallen, Schule ausgefallen, Start des „Kanalbauabschnitts 3“ ausgefallen.

Ja…sämtliche gesellschaftlich wichtigen Veranstaltungen…AUSGEFALLEN!

Noch nicht mal auf der Straße konnte man sich ohne ein schlechtes Gewissen blicken lassen.

Wer sich während der staatlich verhängten Kontaktsperre gerade mal nicht im Harderholz aufhielt, war damit beschäftigt Notvorräte aus Nudeln, Klopapier, Konserven und Toastbrot anzulegen. Kriegsähnliche Zustände spielten sich in vielen Geschäften ab.

Getreu dem Motto:

Grenzen zu,

Regale leer,

Willkommen zurück in der DDR,

musste man wieder Dinge kaufen, wenn es sie gerade zu kaufen gab, auch wenn man sie gerade gar nicht brauchte.

In kilometerlangen, sich wöchentlich ändernden Gesetzestexten aus Amtschinesisch mussten sich die Hausener Einwohner mühevoll belesen, um morgen nicht in neue Bußgeldfallen der Corona-Sheriffs und einigen selbsternannten Wächtern zu tappen.

Aus dieser Notsituation heraus wurde zu Christi Himmelfahrt sogar ein altes, verborgenes Fleckchen Erde wiederentdeckt.

Heimlich nutzte eine Gruppe Hausener Väter, wie in guten alten Zeiten, die Abgeschiedenheit und Ruhe auf dem Viereck, um diesen wichtigen Tag ungestört zu begießen.

Diese unbegreiflich schwierige Situation macht natürlich dem allgemeinen Wohlbefinden und der Entwicklung unseres Dorfes schwer zu schaffen.

Die Entstehung eines österreichischen Wirtshauses im Mitteldorf mit spontanen Trinkabenden und tiefen Einblicken in gewisse Vorlieben einiger Burschengattinnen,

bremste der Hammel genauso gezielt aus wie die Einarbeitung des neuen Bauhoftrupps.

Obwohl die neuen Kollegen sich eh schon schwer tun die optische Pflege im gesamten Ort aufrechtzuerhalten, schubste der Hammel auch noch ihren Mähtraktor in ein tiefes Bodenloch am Roteberg.

Das alles beobachtete er gemütlich während er im Zivi-Hauptquartier saß und weiterhin mit den Senioren des Ortes seine traditionellen Frühstücksrunden genoss.

Neue Ermittlungen gegen den Hammel mussten aus Mangel an Beweisen, unter anderem wegen Fahren ohne Führerschein auf akrobatischen Zweirädern eingestellt werden, als nach Prüfung festgestellt wurde, dass es sich nur um Fahrräder mit selbstgebauten Soundgeneratoren handelte.

Auch die Ermittlung gegen das Aufstellen selbstgebauter Verkehrsschilder auf der Rennstrecke Schulstraße-Bahnhofstraße, musste wegen Mangel an Zeugen schnell eingestellt werden.

Für diese Ermittlungen konnte, im Gegensatz zum Mangel an Personal für Verkehrskontrollen, sogar die Chefetage des Ordnungsamtes mobilisiert werden.

Sein größtes Ziel hat der Hammel dieses Jahr aber trotz größter Arglist nicht erreichen können.

Verärgert musste er mit ansehen, dass ihm sein größtes Vorhaben, einem alt bekannten Hausener Pferdezüchter das Leben schwer zu machen, nicht richtig gelingen wollte.

Er versuchte es erst mit Feuer in seinem Keller, das mit dem kompletten Arsenal an Feuerwehrautos der umliegenden Ortschaften aber schnell bewältigt werden konnte.

Er versuchte es mit Wasser, welches beide seiner Kellergeschosse zerstören sollte,

aber glückseeligerweise in den frisch renovierten Räumen nur überschaubaren Sachschaden verursachte.

Parallel dazu wand er eine neue List an und verhinderte die Unterstützung der Hausener Feuerwehr durch die Nachbarorte.

Er ließ sie bei der unfassbaren Gewitterflut im Sommer mit komplett überschwemmten Straßenzügen, buchstäblich im Regen stehen.

Langfristig hatte Carlos schon dafür gesorgt, dass diese zu erwartende Flut mehr Schaden anrichten sollte als je zuvor, indem er den wichtigen Flutgraben auf der Kreuzung verschloss und sich das auch noch von den Anwohnern finanzieren ließ.

Aber er rechnete nicht damit, dass an diesem Tag jeder verfügbare Hausener zum Helfer wurde und dadurch alle betroffenen Hausbesitzer zumindest Beistand hatten.

Wenn der dörfliche Zusammenhalt in unverhofften Notlagen auf die Probe gestellt wird, merkt man, dass man sich hier immer noch auf einander verlassen kann.

An dieser Stelle >>Vielen Dank nochmal an alle Helfer in der Not!!

das ist auch einen Zwischenapplaus wert!! 

Es ist ja allgemein bekannt das der Hammel merkwürdige Dinge tut, wenn er ungewollt viel Zeit hat.

Mit seiner Idee die langatmige Corona-Zeit zu überbrücken, indem er sich seelsorgerisch und mit eigener spezieller Therapie um das eine oder andere bedürftige Herz zu kümmern, wandelte er auf scharfem Grat.

Des Weiteren startete er einen zweiten Versuch, das aus dem letzten Winter übel ausgegangene

Schlachtfest in der Schöllbornstraße besser zu überstehen – was ihm aber misslang und dieses Jahr eine Zahnlücke zur Folge hatte.

Beim nächstbesten Trinkgelage packte ihn wieder der Mut und er versuchte sich selbst die Haare zu schneiden, was letzten Endes im Kahlschlag endete.

In ein turbulentes Jahr startete am Silvestertag auch unser Gemeindesaal, als es noch möglich war eine High-End-Silvesterparty mit Farbspektakel, DJ und Live-Übertragung in die ganze Welt zu veranstalten.

Als trotz der anhaltenden Veranstaltungssperren unser Gemeindesaal in der

„night of light“,

in einem weit über unseren Ort leuchtenden Rot erstrahlte, wusste der Hammel nicht, welches Gerücht er schneller verbreiten sollte.

Ob für Hausener Junggesellen die Eröffnung eines dorfeigenen Bordells besser klingt oder für alte Anhänger der sozialistischen Zeit die Auferstehung des Palastes der Republik  direkt in Hausen………alles Ansichtssache!

Der Sinn dieser aufwendigen Beleuchtung war aber viel tiefgründiger und sollte Aufmerksamkeit, auf die vielen bedrohten Existenzen in der Gastronomie und Veranstaltungsbranche lenken.

Eine vorzeitige aber notwendige Innenrenovierung zum 20.Geburtstag bekam unser Saal dann in der 2. Jahreshälfte, weil auch er der schweren Gewitterflut schutzlos ausgeliefert war.

Der immer noch eifrig betriebene, einheimische Handel mit Hühnereiern kam in diesem Frühjahr fast zum Erliegen, nachdem der Fuchs systematisch von Grundstück zu Grundstück schlich und viele Legehennen holte.

Anderen Tieren im Ort erging es dagegen besser.

Hunde können ab sofort bedenkenlos ihr Geschäft auf der Straße erledigen, da ihre Besitzer nun vom Benedictus Weg aus und direkt vorm Haus des Bürgermeisters mit Tüten für Hundehäufchen versorgt werden.

Und wo letztes Jahr noch wilde Lagerwirtschaft für Tierfutter betrieben wurde, können nun 2 ganz besonders glückliche Pferde, inclusive zurückeroberter eigener Zufahrt, stolz auf ihren eigenen Westernreitplatz blicken.

Für die große 70-Jahre-Jubiläumsfeier im nächsten Jahr, möchten wir alle Hausener, alle ehemaligen Hausener, Freunde und Gönner unseres Heimatortes aufrufen:

„Macht mit, kommt zu den Veranstaltungen…wenn wir dürfen…“

Oder, wie früher: „Schließt euch uns an!“

Helft uns, dass man auch noch zum 80. Geburtstag von einer gelungenen Kirmes 2021 spricht.

In diesem Sinne, und im Namen aller Hammelbrüder, bedanken wir uns für eure Aufmerksamkeit und wünschen frohe und nette Stunden.

Bleibt heute mehr denn je gesund und munter!

Bis zum nächsten Jahr grüßen:

 

Die Kirmesburschen

Geschrieben 2020 von

David Schäfer